FASD im Fokus: Hückelhovener Suchtforum stößt auf überwältigendes Interesse
Hückelhoven. – Die Stuhlreihen im Gemeindezentrum der Evangelischen Kirche waren bis auf den letzten Platz gefüllt, als am 12. November das 17. Hückelhovener Suchtforum seine Türen öffnete. Schon Wochen zuvor war die Veranstaltung ausgebucht – ein deutliches Zeichen dafür, wie groß der Informationsbedarf rund um das Thema Fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) ist. Die Beratungsstelle für Suchtfragen des Caritasverbands Heinsberg hatte gemeinsam mit dem Diakonischen Werk ein hochkarätiges Programm zusammengestellt, das Fachkräfte aus Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Suchthilfe, Medizin und Pädagogik in besonderer Weise erreichte.
Nach einem kurzen Grußwort des Hückelhovener Bürgermeisters führte Merle Weitz, Psychologische Psychotherapeutin und Leiterin der Beratungsstelle für Suchtfragen, in das diesjährige Schwerpunktthema ein. Sie betonte, wie häufig FASD unerkannt bleibt – und welche Konsequenzen eine späte oder fehlende Diagnose für Kinder, Jugendliche und Erwachsene hat.
Komplexe Hintergründe – verständlich erklärt
Erster Fachvortragender des Tages war Philipp Wenzel, Arzt der Tagesklinik Walstedde. Mit wissenschaftlicher Präzision und großer Anschaulichkeit skizzierte er die medizinischen Grundlagen der Störung: von den ersten klinischen Beschreibungen in den 1970er-Jahren über Diagnostikkriterien bis zu den typischen Auffälligkeiten in Entwicklung, Verhalten und Hirnstruktur. Wenzel machte deutlich, wie groß die Dunkelziffer ist – und dass FASD zu den häufigsten angeborenen Behinderungen gehört, häufiger als Trisomie 21.
Besonders eindrücklich schilderte er, warum viele betroffene Kinder zunächst fehlerhaft Diagnosen wie ADHS, Bindungsstörungen oder Lernstörungen erhalten. „Die Diagnose wird noch immer zu selten gestellt, und viele Fachkräfte tun sich schwer, das Thema Alkoholkonsum in der Schwangerschaft klar anzusprechen“, so Wenzel.
Alltag zwischen Belastung, Humor und außergewöhnlicher Stärke
Am Nachmittag eröffnete Carina Eßer, Diplom-Heilpädagogin, zertifizierte FASD-Fachkraft und Traumapädagogin, mit einem energiereichen Vortrag, der die Perspektive der Pädagogik, Jugendhilfe und Traumaarbeit zusammenbrachte. Sie erklärte, warum Menschen mit FASD im Alltag oft vor Anforderungen stehen, die für andere selbstverständlich sind – und dass „herausforderndes Verhalten“ fast immer Ausdruck von Überforderung sei, nicht von Unwillen.
In bildhaften Beispielen – darunter das Gleichnis eines Containerschiffs, das seine „Ladung“ nur mit professioneller Lotsenbegleitung sicher in den Hafen findet – machte sie deutlich, wie wichtig tragfähige Strukturen, klare Kommunikation und eine realistische Zielplanung sind. Ihr Credo: „Weg von ‚das Kind will nicht‘, hin zu ‚das Kind kann nicht‘.“
Dabei setzte sie auch auf Humor als Ressource: Kleine Anekdoten aus dem Familienalltag mit FASD-betroffenen Kindern sorgten im Publikum für herzliche Lacher – und gleichzeitig für ein tiefes Verständnis der Belastungslage von Familien.
Wenn Theorie auf Lebensrealität trifft
Besonders bewegt zeigte sich das Publikum beim Erfahrungsbericht von Maria und Heinrich Höller, Pflegeeltern zweier mittlerweile erwachsener Kinder mit FASD und Leiter der Selbsthilfegruppe „Faszinierend anders sein“.
Sie schilderten den jahrelangen Alltag zwischen Struktur, ständiger Wiederholung, starker Bindung und immer wieder auch Erschöpfung. Maria Höller zitierte eine Pflegemutter, die die Herausforderung treffend beschreibt:
„Sie sind lieb, sie sind süß, aber auch distanzlos, zerstörerisch, aggressiv… und treiben uns manchmal an den Rand der Verzweiflung.“
Zwischen eindrucksvollen Beispielen und konkreten Einblicken in Diagnostik, Hilfesysteme und rechtliche Fragen wurde deutlich, welche immense Verantwortung Pflege- und Adoptivfamilien tragen. Ebenso deutlich aber auch, welch starke Entwicklung Kinder mit FASD nehmen können, wenn sie früh verstanden, entlastet und stabil begleitet werden.
Lebhafte Diskussion zum Abschluss
In der abschließenden Podiumsrunde diskutierten alle Referent*innen unter der Moderation von Merle Weitz zentrale Fragen:
Wie gelingt eine frühzeitige Diagnostik? Wo hakt das Hilfesystem? Welche Unterstützung brauchen Familien, Fachkräfte und Einrichtungen wirklich?
Das Publikum nutzte die Gelegenheit, Fragen zu stellen und eigene Erfahrungen einzubringen – ein Austausch, der bis nach Veranstaltungsende weitergeführt wurde.
Ein Forum, das Wirkung zeigt
Mit seiner thematischen Tiefe, dem hohen fachlichen Niveau der Beiträge und der Authentizität der persönlichen Erfahrungsberichte setzte das Hückelhovener Suchtforum 2025 ein klares Signal:
FASD braucht mehr Aufmerksamkeit, mehr Ausbildung, mehr Wissen – und vor allem mehr Verständnis.
Dass die Veranstaltung ausgebucht war, überraschte am Ende niemanden mehr. Vielmehr wurde spürbar, wie dringend solche Foren gebraucht werden, um Fachkräfte zu vernetzen, Wissen zu bündeln und Betroffene sichtbar zu machen.