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Abschied mit Dank, Neubeginn mit Vision: Wechsel in der Suchtberatung Hückelhoven

Nach 28 prägenden Jahren geht Marlies Trapp in den Ruhestand – Merle Weitz übernimmt und setzt auf Vernetzung, Familienorientierung und starke ambulante Angebote

Hückelhoven. Ein Hinterhaus ohne Schild in der Parkhofstraße – so begann für Marlies Trapp 1997 die Geschichte bei der Beratungsstelle für Suchtfragen des Caritasverbands Heinsberg. 28 Jahre später verabschiedet sich die langjährige Leiterin in den Ruhestand. Zur Nachfolgerin wird die Psychologin und Psychotherapeutin Merle Weitz berufen. Was bleibt, ist eine Einrichtung, die Trapp mit Professionalität, Haltung und viel Menschlichkeit zu einer festen Größe im Kreis gemacht hat – und eine klare Agenda für die Zukunft.

„Ich möchte einfach Danke sagen – für die vielen intensiven Gespräche, das Vertrauen, die Zusammenarbeit mit Klientinnen und Klienten, Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzten und Vorstand“, sagt Marlies Trapp. „Es war mir eine Freude, Teil eines großen Ganzen zu sein.“

Von der „Käseglocke“ zur tragfähigen Alternative: Die ambulante Reha als Meilenstein

Als Trapp startete, zählte das Team neben ihr drei Fachkräfte und ein Sekretariat; Beratung war wichtig, aber wirtschaftlich nicht tragfähig. Der Wendepunkt kam 1998: die Etablierung der ambulanten Rehabilitation (ARS) – fachlich fundiert, im Verbund mit den Suchtberatungsstellen des Kreisgesundheitsamts.

„Mit der ambulanten Reha kamen erstmals echte Einnahmen – damit wurde aus einem Dauerdefizit eine tragfähige Struktur“, so Trapp. „Vor allem aber entstand für Betroffene eine wohnortnahe Behandlungsoption, ohne monatelang aus Arbeit und Familie herausgerissen zu werden.“

Die ARS veränderte Versorgung und Nachfrage spürbar – die Klientenzahlen verdoppelten sich binnen eines Jahres. Parallel dazu passten die Träger bundesweit stationäre Behandlungszeiten an (damals: von neun auf sechs Monate bei Drogenabhängigkeit; von sechs auf vier bzw. später drei Monate bei Alkoholabhängigkeit). Heute gilt die ambulante Reha in Heinsberg als Kernangebot – und als Fundament für die weitere Entwicklung.

Tabu mit Rissen: Mehr Offenheit – aber noch zu viel Scham

Inhaltlich und gesellschaftlich arbeitete Trapp gegen hartnäckige Zuschreibungen an: „Sucht ist noch immer stärker tabuisiert als etwa Depression“, beobachtet sie – im ländlichen Raum deutlicher als in Metropolen. Besonders Frauen erlebten Scham, gerieten in Rollenkonflikte und suchten Hilfe später – oft heimlich. Ein Grund mehr, niedrigschwellige, geschützte Zugänge zu stärken.

„Wunsch für die Zukunft? Mehr Akzeptanz. Wenn Scham sinkt, kommen Menschen früher – nicht erst, wenn körperliche und seelische Schäden groß sind.“

Angebote, die tragen: Angehörigen- und Elterngruppen, „Kontrolliertes Trinken“ und das Suchtforum

Zu den Markenzeichen der Beratungsstelle zählen zwei regelmäßig stattfindende Gruppen, die es im Kreis in dieser Form sonst nicht gibt: eine Angehörigengruppe (für Partnerinnen und Partner) und eine Elterngruppe (für Mütter und Väter erwachsener Kinder mit Suchtproblemen). Anfangs zusammengeführt, später bewusst getrennt – weil Dynamiken, Entscheidungsspielräume und Belastungen sich unterscheiden.

Ergänzend setzt die Beratungsstelle mit „Kontrolliertem Trinken“ auf ein präventiv ausgerichtetes, zieloffenes Programm für Menschen mit deutlich zu hohem Alkoholkonsum, die noch nicht abstinenzorientiert sind. Nachfrage schwankt, die Bedeutung bleibt: „Es holt Menschen ab, die sonst gar nicht kämen.“

Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist das Hückelhovener Suchtforum, das die Beratungsstelle seit 2006 regelmäßig organisiert – mit dem Ziel, Information, Kontakt, Austausch und Vernetzung unter Fachkolleginnen und Fachkollegen aus der Region zu fördern, die mit Sucht und ihren vielfältigen Auswirkungen befasst sind. Die Themen orientieren sich an aktuellen Entwicklungen der Suchthilfe und an praktischen Herausforderungen aus der Beratungsarbeit. Das Interesse ist groß – mittlerweile melden sich weit mehr Fachkräfte an, als Plätze verfügbar sind.

Kinder schützen, Systeme verbinden: Kooperation mit der Jugendhilfe

Ein weiterer Meilenstein: die Kooperationsvereinbarung mit der öffentlichen Jugendhilfe, angestoßen durch das Bundeskinderschutzgesetz (2012). Was mit kontroversen Debatten begann, ist heute gelebte Praxis: halbjährliche fallunabhängige Gremien sowie das Instrument der Beteiligtenkonferenz, das kurzfristige, verbindliche Absprachen zwischen Jugendhilfe, Suchthilfe, Klientel und weiteren Beteiligten ermöglicht.

„Wir betrachten das Jugendamt nicht als Gegner“, betont Marlies Trapp. Vielmehr sei es entscheidend, Familien mit suchtbelastetem Hintergrund frühzeitig zu erreichen und ihnen Wege der Unterstützung zu eröffnen. So entstanden in den vergangenen Jahren verschiedene familienorientierte Angebote. Seit 2019 gibt es beispielsweise die Gruppe „Change it“ für junge Mütter und Väter, die Schwierigkeiten mit Alkohol oder Drogen haben und kleine Kinder betreuen. Hier lernen sie, die Auswirkungen ihres Konsums auf Erziehung und Beziehung besser zu verstehen, sich gegenseitig zur Abstinenz zu motivieren und Ängste abzubauen. Ergänzend dazu bietet die Beratungsstelle regelmäßig „Schöne Familienzeiten“ an – gemeinsame Unternehmungen, Ausflüge oder kreative Aktivitäten, die Eltern und Kindern neue positive Erfahrungen miteinander ermöglichen. Der Zugang zu diesen Angeboten ist bewusst niedrigschwellig und kostenfrei gestaltet.

Haltung und Nähe: Warum Begegnungen bleiben

Trapp spricht offen über Belastung, Todesfälle durch Alkohol, über die Notwendigkeit von Supervision – und über Resilienz, mit einem Augenzwinkern („Kinderschokolade hilft“). Vor allem aber erzählt sie von Nähe, die trägt:

„Manche begleite ich seit Jahrzehnten. Ich kenne Kinder beim Namen, habe Familien durch Höhen und Tiefen erlebt. Diese Intensität von Kontakt – das nehme ich mit.“

Im Ruhestand freut sie sich auf Zeit zu Hause, den kleinen Garten, Spaziergänge – und mehr gemeinsame Stunden mit ihrem Mann. „Ob er sich auch freut, wird sich zeigen“, sagt sie lachend. Die Dankbarkeit bleibt: gegenüber Kolleginnen und Kollegen, ehemaligen und aktuellen Führungskräften und einem Verband, „der auch in schwierigen Phasen Rückendeckung gab“.

Die Nachfolgerin: Wer ist Merle Weitz?

Merle Weitz (49) ist approbierte Psychotherapeutin, gebürtige Hamburgerin und seit fast 16 Jahren in Erkelenz zu Hause. Aufgewachsen in Unterfranken, führte sie ihr beruflicher Weg durch mehrere Bundesländer – vom Strafvollzug in Bielefeld über die stationäre Rehabilitation im Zwickauer Land und die Universitätsmedizin Mainz bis in die Jugendhilfe Dillborn, wo sie viele Jahre pädagogisch und therapeutisch leitend tätig war. Zuletzt arbeitete sie in der Fachklinik Gangelt auf der suchtherapeutischen Markus-Station, deren therapeutisches Konzept sie umfassend überarbeitete.

„Auf der Suchtstation sieht man alles – alle Altersgruppen, alle Milieus. Das Lehrbuch hilft, aber jede Geschichte ist individuell. Man muss systemisch denken und für jeden Menschen neu schauen, was zielführend ist“, sagt Weitz. „Ich freue mich, jetzt im Kreis Heinsberg für den Kreis Heinsberg tätig zu sein – nahbar, wirksam, vernetzt.“

Weitz ist Verhaltenstherapeutin mit systemischem Blick – und Mutter von drei Kindern. Sie schätzt große, wertebasierte Träger: „Ich arbeite gern als Teil eines größeren Ganzen – mit christlichen Grundwerten, klaren Prozessen und der Nestwärme einer Organisation, die zugleich nahbar bleibt.“

„Bewährtes bewahren, Profil schärfen“ – so beschreibt Merle Weitz ihre Ziele für die kommenden Jahre.

Sie möchte die ambulante Reha Sucht (ARS) weiter sichern und ausbauen, die Familienorientierung stärken sowie die Vernetzung und Kooperation mit Jugendhilfe, Kliniken, Bewährungshilfe und Arbeitgebern vertiefen. Besonders am Herzen liegt ihr, die Angehörigen- und Elterngruppen stärker sichtbar zu machen – und das Gruppenangebot „Change it“ noch bekannter zu machen. „Die ambulante Reha ist fachlich sinnvoll und wirtschaftlich relevant. Zugleich müssen systemische Bezüge – Familie, Schule, Arbeit – konsequent mitgedacht werden“, so Weitz.
„Das Suchtforum führen wir fort. Und wir machen unsere Angebote bekannter, damit mehr Menschen frühzeitig kommen.“

Dass die Übergabe gelingt, liegt auch am Rahmen: Der Verband ermöglicht eine zweimonatige, parallele Einarbeitung mit Trapp. „So fundiert wurde ich noch nie eingearbeitet“, sagt Weitz. „Das kostet – und ist ein starkes Zeichen von Vertrauen.“ Im Team herrscht Aufbruchsstimmung: Nach Abschieden langjähriger Kolleginnen unterstützt eine neue Mitarbeiterin den Neustart. „Das erleichtert es, Dynamik aufzunehmen und gemeinsam einen neuen Kuchen zu backen.“

Der Blick nach vorn

Marlies Trapp wünscht der Beratungsstelle „ein gutes Auskommen“, stabile Finanzierung für die familienorientierte Suchtberatung und ein Team, das „toll zusammenwächst“. Merle Weitz nimmt den Staffelstab „mit Respekt und Freude“ an – mit der Zusage, Bewährtes zu bewahren und mutig weiterzuentwickeln.

„Ich nehme das Erbe gerne an und versuche nach bestem Wissen und Gewissen, es weiterzuführen und zu schärfen“, sagt Weitz. „Mit Haltung, Vernetzung – und nah an den Menschen.“

Hintergrund: Die Beratungsstelle für Suchtfragen

Die Beratungsstelle für Suchtfragen befindet sich in Trägerschaft des Caritasverbands für die Region Heinsberg e. V. in Kooperation mit dem Diakonischen Werk des Kirchenkreises Jülich. Die Geschäftsführung obliegt dem Caritasverband Heinsberg.

Schwerpunkte: Beratung, ambulante Rehabilitation (ARS), Angehörigen- und Elterngruppen, Präventionsprogramm „Kontrolliertes Trinken“, familienorientierte Suchtberatung.

Vernetzung: enge Kooperation mit Jugendhilfe (Kooperationsvereinbarung, Beteiligtenkonferenzen), Kliniken, Bewährungshilfe sowie regionalen Akteurinnen und Akteuren.

Fachlicher Austausch: Hückelhovener Suchtforum (seit 2006), Fachveranstaltung zur Information, Vernetzung und Diskussion aktueller Themen der Suchthilfe.

Auszeichnung: FitKids-Siegel (familienorientierte Ausrichtung, nach mehrjährigem Coaching-Prozess).

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